Schatten des Lebens – die Vergangenheit
Trauer und Überleben
Als Marie nach dem Tod ihres Vaters erfährt, dass sie in Wirklichkeit Lara heißt, kommt ihre Welt ins Schwanken. Zum Glück bekommt sie die Unterstützung von Laurent, der Mann an ihrer Seite und von ihrer Tochter, Charlotte, um die schwerste Entscheidung ihres Lebens zu treffen. Denn Camille und Gerhard sind gar nicht ihre leiblichen Eltern. Als sie diesen Schock langsam zu verarbeiten versucht, geht sie auf die Spuren ihrer Vergangenheit und stößt auf ein Familiendrama nach dem anderen. Sie muss feststellen, dass die Menschen, die sie erzogen haben, alles andere als ein glückliches Leben gehabt haben. Die Albträume ihrer Kindheit entfahren sich von neuem und lassen sie nicht mehr in Ruhe. Wird sie den Mut aufbringen können bis am Ende ihrer Recherche zu gehen? Jetzt wo sie sich ein neues Leben mit Laurent aufgebaut hat? Wird sie ihre leiblichen Eltern wieder finden?
Stefan van der Falk ist immer noch fest davon überzeugt, dass seine Schwester lebt. Als seine Mutter ihm ein Foto von ihr zeigt, das sie gerade aus Quimper bekommen hat, fühlt er sich darin bestätigt. Was hat das zu bedeuten? Er will der Sache auf dem Grund gehen, nur sein Vater ist sehr krank und braucht gerade jetzt mehr denn je die Aufmerksamkeit seiner Familie, deshalb er seine Pläne nach hinten schieben muss.
Ein kleiner Vorgeschmack
Prolog
Ich werde das Gefühl nicht los, dass dieses Foto mit dem Verschwinden meiner Schwester zu tun hat. Ich betrachte es, wie so oft, genauer, in der Hoffnung, etwas zu entdecken, was mir bisher entgangen ist. und mir dabei helfen könnte, sie wiederzufinden. Sie trägt ihr rotes Mäntelchen. Ich kann mich daran erinnern, als unsere Mutter es ihr gekauft hat. Es war irgendwann im Frühjahr 1070, also ein paar Monate vor ihrem Verschwinden. Mutter wollte mit uns bummeln gehen, wir waren nicht gerade scharf darauf, denn es bedeutete einfach nur Langeweile, zumindest für Robert und mich.
Lara hingegen war begeistert, schon in diesen jungen Jahren liebte sie es, in den Boutiquen zu stöbern. An diesem Tag, nachdem wir ein paar Geschäfte erfolglos besucht hatten und meine Mutter kurz vorm Zusammenbruch stand, schrie Lara plötzlich und blieb vor einem Schaufenster stehen. Dort trug eine Puppe, die nicht viel größer als Lara war, einen roten Mantel. Meine Schwester schaute ihn voller Freude und Begeisterung an. Sie zog meine Mutter an der Hand und wollte unbedingt in das Geschäft, um den Mantel zu kaufen. Obwohl der Preis meine Mutter hätte abschrecken müssen, ging sie mit Lara hinein. Wir, Robert und ich, blieben draußen und warteten, es konnte sich ja nur um ein paar Minuten handeln! Tatsächlich, nach geschlagenen zehn Minuten, kamen sie aus dem Geschäft, meine Mutter hielt eine Tüte mit dem besagten Mantel in der Hand und meine Schwester hatte ein Grinsen bis über beide Ohren im Gesicht. Sie war glücklich!
Dieses Foto musste ein paar Wochen danach aufgenommen worden sein, Lara steht da eingelullt in ihrem Lieblingskleindungsstück und lächelt breit in die Kamera. Von wem wurde diese Aufnahme denn geschossen? Wer auch immer es gewesen ist, er hat das Foto bis heute in seinem Besitz gehabt. Wie kann es sonst sein, dass meine Mutter es per Post erhalten hat? Ich drehe das Bild um, es steht nichts darauf, nur die Adresse meiner Eltern in einer schönen, geschwungenen Schrift. Bestimmt von einer Frau. Der Poststempel kommt aus Frankreich, Quimper, um genau zu sein. Es ist seltsam, ich verstehe es nicht. Aber ich habe mir vorgenommen, es herauszufinden, auch wenn ich dafür nach Quimper reisen muss.
***
Seit mein Vater gestorben ist, sind nun zwei Monate vergangen. Mit dem Erbe konnte ich mir ein Auto leisten und renoviere jetzt das Haus meiner Eltern. Bis dahin wohne ich noch in meiner kleinen Wohnung in Quimper. Es hat sich einiges getan. Ich habe vom Schuldirektor einen Brief erhalten, der besagt, dass ich nun als Vollkraft in der Schule arbeiten darf. Ich bin überglücklich über diese Nachricht, ich habe es mir so gewünscht.
Dazu kommt, dass Laurent und ich uns nun etwas nähergekommen sind. Er hat mich nicht vergessen. Tatsächlich, ein paar Tage nach meinem Besuch bei der Bank hat er sich bei mir gemeldet. Wir sind sozusagen ein Paar, und obwohl wir noch nicht intim miteinander waren, stehen wir uns sehr nah und verstehen uns fantastisch. Er bedrängt mich nicht, das finde ich gut, bei ihm kann ich selbst sein.
Das Einzige, war mir Sorgen macht, ist die Tatsache, dass ich in Wahrheit nicht die leibliche Tochter meiner Eltern bin und nicht Marie, sondern Lara heiße. Ich habe so viele Fragen über meine wahre Identität! Ich habe noch nicht mit Laurent über das, was ich im Umschlag vorgefunden habe, geredet. Wie soll ich ihm erklären, dass mein Vater in Wirklichkeit mein Entführer war? Es klingt schon für mich absurd und an den Haaren herbeigezogen. Er würde mich für verrückt halten. Ich möchte vorerst über mein wahres Ich recherchieren, dann kann ich entscheiden, wie ich es ihm am besten beichten kann.
Was ich bisher herausgefunden habe, ist unglaublich und beängstigend zugleich. Ich kann es kaum fassen und muss auch vorsichtig sein, nicht zu viel aufzuwühlen, denn sollten die Behörden Wind davon bekommen, weiß ich nicht, was dann passieren würde. Ich will schon meine leiblichen Eltern finden und vielleicht sogar kennenlernen, nur ich möchte nicht dafür mein neu gewonnenes Leben aufgeben.
In dem Umschlag, den mein Vater mir vererbt hat, lag noch ein altes Foto von mir. Ich trage darauf einen roten Mantel. Es fühlt sich komisch an, mich nach all den Jahren auf diesem Bild zu sehen. Es gehört einer Zeit, die in Vergessenheit geraten ist und allmählich wieder an die Oberfläche kommt. Ich kann mich nur vage erinnern, wie ich an diesen Mantel kam. Die Erkenntnis wühlt mich auf, dass die Frau, die in meinen Erinnerungen an meiner Seite stand, definitiv nicht die Frau war, die sich jahrelang für meine Mutter ausgegeben hat. Ich lebe Irgendwie wie in einer Trance, mich überkommt ständig ein Schwindelgefühl, wenn ich an diese Zeit zurückdenke. Dank der Zeitungsartikel konnte ich herausfinden, wo wir vorher gewohnt haben. Es ist zwar nicht die exakte Adresse, aber zumindest die Ortschaft. Es ist in Wesel, am Niederrhein. Ich habe schon gegoogelt und mir die Stadt im Internet angeschaut. Ich wollte wissen, ob ich mich an irgendetwas erinnern kann. Fehlanzeige. Es wird auf jeden Fall nicht einfach sein, herauszufinden, wo sich das Ganze abgespielt hat. Vielleicht, wenn ich dort bin, zum Beispiel auf dem Spielplatz, fällt es mir wieder ein.
Deshalb habe ich mir vorgenommen, bald nach Deutschland zu reisen. Ich weiß zwar noch nicht, wann genau, aber bald fangen die Sommerferien an. Klar, ich muss vorher noch einiges klären und da wären noch Laurent und Charlotte, meine Tochter. Was soll ich ihnen erzählen?